Mixed media, 2014
Exhibition views OK, Linz, Austria
Photos by Florian Voggeneder
Zwerchfellattacken. Über Ersatzplastiken
Pippi Langstrumpf heißt mit drittem Namen Rollgardine, auf Schwedisch: Rullgardina. Womit wir beim Thema wären. Denn Gabriele Edlbauer hat nicht nur viel Zeit in Schweden verbracht, ihre Welt der Dinge könnte die Innenausstattung einer urbanen, kosmoproletarischen Version der Behausung des o.g. Supermädchens sein. Und wie ein Mädchen nach einem Möbel heißen kann, kann bei ihr ein Möbel ein Mädchen sein – eine „Running Susi“ etwa. Oder auch etwas ganz anderes. Jedenfalls flanieren ihre Gegenstände entspannt auf der Grenze zwischen den unterschiedlichsten Dingklassen: Was ganz praktisch erscheint – ein Mülleimer beispielsweise –, ist auf den zweiten Blick dekorativ, weil völlig übertrieben bemalt. Mit den Rugbybällen kann man sicher nicht spielen (die Augen tun es trotzdem). Die riesigen Doughnuts sind so appetitlich wie unkonsumierbar. Und ob die Zitronen einfach nur Requisiten sind, um das Objekt – einen Servierwagen – zu exponieren, oder sie die Frage des Stilllebens ganz neu beleben: Darüber kann man sich vorzüglich streiten. Den Arbeiten gemeinsam ist, dass man sie nie nur auf einer Ebene erfassen kann, sondern dass sie vielerlei Eingänge bieten. So kann man sich über die Frage der Oberflächenbearbeitung annähern. Die Oberflächen sind perfekt gearbeitet und immer an der Grenze zum „Zuviel“. Mal schillert es ein wenig zu sehr, mal ist Körnigkeit und Rauheit fast fetischistisch herausgestellt. Die Airbrush-Ästhetik zieht an und stößt ab. Oder man nähert sich über die Materialien: Dann fällt auf, dass man sich in einer Welt der Simulacren befindet. Keramik imitiert Gummi, Alu imitiert Stahl, Textil imitiert Organisches, Styropor imitiert Germteig, Lack imitiert Zuckerguss. Die Reihe ließe sich lange fortsetzen. Oder man nimmt die Titel als Eingang und gerät damit auf eine andere Variante von Glatteis. Man befindet sich plötzlich in der Welt des puns, der rhetorischen Figur der Paranomasie, der spielerischen Wortumbildung. „Herbert, Hubert und Alibert auf dem Weg nach AbuGabi“: Das hätte William Shakespeare gefallen und auch Alfred Hitchcock, für den puns die höchste Form der Literatur waren. Eine etwas unernste Kunstform allerdings, was Oscar Wilde zu folgendem, ziemlich vernichtenden pun über den deutschen Idealismus verleitete: Immanuel doesn’t pun, he Kant. Die Paranomasie ist eine poetische Strategie. Da wird ein wenig am Phonem oder an der Schreibung gedreht und schon steht ein neues Wort da, das sich noch dazu besser reimt, wenn auch selten perfekt. Und so reimt sich auch „Banish the Sandwich Winning the Inning“ nur so halb. Die Wörter des ersten Reims muss man ein wenig im Mund tragen, damit sie als Reim herauskommen. Überhaupt reimt sich in den Arbeiten Gabriele Edlbauers vieles, manches aber nur mit Gewalt, über einen schiefen Vergleich, nur so halbwegs. Manche Arbeiten bilden realistisch ab, but not quite. Sie sind disproportional, dabei aber ausgewogen. Sie sind dysfunktional, dabei aber höchst präzise gebaut. Sie sind abstrakt, aber dabei bildlich. Wie die Paranomasie lassen sie festgefügte Assoziationsketten ins Schlingern geraten, wobei das bevorzugte Wahrnehmungsorgan das Zwerchfell zu sein scheint. In der Antike hielt man das Zwerchfell für den Sitz der Seele. Es heißt phren (φρήν) und ist uns heute bedauerlicherweise nur als Pathologie bekannt, als Schizophrenie. Erst im 19. Jahrhundert ist die Seele dann in den Kopf gewandert, hat sich in der Schädelform verhärtet und damit die fatale Wissenschaft der Phrenologie hervorgebracht. Auch die deutsche Wurzel für das Wort Zwerchfell ist aufschlussreich: zwerch ist das Dazwischen, das, war quer steht. Das Zwerchfell wäre also das Medium, in dem die Seele vibriert, wenn ihr etwas begegnet, was quer zur bereits gemachten Erfahrung, zum Erlernten, zum Habitualisierten steht. Insofern: Rollgardinen rein, Phrenologie raus. Paranomasische Phrenokunst vor! Und wer es schafft, den Rugbyball unbeschädigt hinter dem Tor zu platzieren, der bekommt einen Haufen genähter Zitronen.
Text by Karin Harrasser